Die elektronische Akte und ihre erfolgreiche Einführung
Nichts ist langweiliger als eine E-Akte außer vielleicht Stillstand, Dressurreiten und alkoholfreies Bier. Trotzdem schafft die E-Akte es, mit Ihrer Einführung Emotionen zu erzeugen. Woran liegt das? Die Einführung einer elektronischen Akte ist nicht nur ein IT-Projekt, mit dem eine neue Software bereitgestellt wird. Es ist ein umfassendes Organisationsprojekt, mit dem fast alle bisherigen bewährten Regelungen und Abläufe auf den Prüfstand gestellt werden und eine grundlegende Veränderung erfahren. Die E-Akte als Dokumentenmanagement- und Vorgangsbearbeitungssystem ist ein wichtiges Standbein der Digitalisierung der Verwaltung. Sie ermöglicht nicht nur eine revisionssichere Ablage sondern auch digitale Beteiligungs- und Zeichnungsprozesse. Die Digitalisierung sorgt für grundlegende Veränderungen der Verwaltungsarbeit. Veränderungen erzeugen Emotionen. In den meisten Fällen jedoch keine positiven, da Veränderungen immer mit Loslassen, neuem Unbekannten und dadurch mit Ängsten verbunden sind. Nur die innovationsfreudigen Menschen werden voller Neugier die Möglichkeiten der Digitalisierung ausloten. Diese sind jedoch bekanntermaßen in der Unterzahl. Wichtig ist es jedoch, eine kritische Masse an Nutzern (50 %) zu erreichen. Erst dann entsteht die erforderliche Eigendynamik.
Aktives Akzeptanzmanagement erforderlich
Akzeptanz entsteht durch intensive Information und Kommunikation. Dazu gehört das Aufzeigen der individuellen Vorteile für die eigene, tägliche Arbeit. Dies überzeugt jedoch nur dann, wenn die Ängste und Bedenken der Skeptiker im Laufe der Einführung auch aufgenommen und ernst genommen werden. Diese Überzeugungsarbeit ist wesentlicher Bestandteil aller Einführungsprojekte zur E-Akte. Daher gilt es, mit den zukünftigen Anwendern ins Gespräch zu kommen. Dies ist auch für die inhaltliche Ausgestaltung der E-Akte erforderlich. In der Praxis haben sich folgende Vorgehensweisen bewährt:
- Informationsveranstaltungen anbieten
Der Auftakt sollte der transparenten Kommunikation der Ziele und des weiteren Vorgehens dienen. Dies erfolgt im Idealfall mit aktiver Unterstützung der Leitungsebene. Beschäftigte auf allen Ebenen nehmen sehr genau wahr, wie aktiv die Leitungsebene die zukünftigen Veränderungen einfordert und selbst Teil der Lösung werden will. Fehlende Führungsunterstützung kann schnell zu einem Scheitern des Projektes führen.
- Interviews zur Aufnahme der Ist-Situation
Strukturierte Interviews über alle Ebenen der Organisation verschaffen einen tieferen Einblick über spezifische Anforderungen, Arbeitsinhalte, Wünsche und bisherige Arbeitsweisen. Sie bilden die Grundlage für ein bedarfsgerechtes Vorgehen und sensibilisieren für zu erwartende Stolpersteine und Widerstände.
- Ermittlung von Innovationsbereichen (Vorreiter, early birds)
Diesen ersten Anwenderbereichen kommt eine hohe Bedeutung zu. Umso sorgfältiger sollten sie ausgewählt werden. Identifizieren Sie die Führungskräfte mit ihren Teams, die von sich aus den Mehrwert der digitalen Unterstützung erkennen und bereit sind, engagiert als Vorreiter der Transformation voranzugehen. Je erfolgreicher hier die Arbeit mit der E-Akte empfunden wird, umso leichter wird die Umsetzung in allen darauf folgenden Organisationseinheiten. Der „Flurfunk“ funktioniert in allen Organisationen.
- Workshops mit Organisationsbereichen
Hier wird die Basis für die zukünftige Nutzerakzeptanz geschaffen. In einem ersten Workshop sollte überhaupt nicht über E-Akte und zukünftige Arbeitsweisen gesprochen werden. Hier geht es vielmehr um bestehende Arbeitsinhalte und dem Selbstverständnis der Workshop-Partner. Fragen wie „Was verstehen Sie unter einer Akte?“, „Welches Schriftgut ist bei Ihnen von Bedeutung?“ und auch „Welche Geschäftsprozesse liegen in Ihrer Verantwortung?“ sind hier relevant und maßgeblich.
Erst im weiteren Verlauf gewinnt die Transformation in eine neue Software-Umgebung an Bedeutung. Die Anzahl an erforderlichen Folgeworkshops bis zur Fertigstellung einer bedarfsgerechten Lösungsskizze sollte nicht unterschätzt werden. Probleme bei der Terminfindung durch Abwesenheiten und dienstliche Verpflichtungen sind an der Tagesordnung. Da heißt es Geduld bewahren, aber auch konsequent am Ball bleiben.
- Nutzung von virtuellen Kommunikationsplattformen
Intensive Information und Kommunikation unterstützt die Akzeptanz des Veränderungsprozesses. Behördeneigene Intranet-Lösungen sind die Plattform für umfassende virtuelle Einbindung aller Organisationsmitglieder. Je zeitgemäßer die vorhandene Lösung, umso besser wird der Veränderungsprozess unterstützt. Ein reines Content-Management-System ist in den Möglichkeiten beschränkt und ermöglicht nur Information als Einbahnstraße. Zeitgemäße Kommunikationsplattformen mit „Facebook“-Technologien schaffen den transparenten virtuellen Dialog, der Partizipation ermöglicht. Die Kommunikation kann in Gruppen thematisch gebündelt und mit nutzerspezifischen Beiträgen und Kommentaren in der Chronologie nachvollzogen werden. Diese Gruppen sollten fachmännisch moderiert werden.
- Erstellung von bereichsspezifischen Lösungsskizzen
Die Lösungsskizzen sind die Dokumentationen der Ergebnisse der durchgeführten Workshops. Damit sie ihre Wirkung entfalten können, sind Sie von der verantwortlichen Führungskraft freizugeben. Sie sind die Legitimation für den weiteren Implementierungsprozess. Bestandteil der Lösungsskizzen sollten auch Modelle der jeweils verantworteten Geschäftsprozesse sein. Je höher der Detaillierungsgrad, umso leichter wird der Transfer der Arbeitsabläufe in das Vorgangsbearbeitungssystem fallen.
- Schulungen für Anwender und Multiplikatoren
Zeitnahe, am zukünftigen digitalen Arbeitsplatz ausgerichtete Schulungen sollten eine Selbstverständlichkeit sein. Aber auch hier kann vieles falsch laufen. Zu lange Schulungen (mehr als vier Stunden pro Tag), zu große zeitliche Lücken zwischen Schulung und Passworterteilung und damit verbundenem Echtbetrieb, schlechte Schulungskonzepte und ungenügend qualifizierte Dozenten seien hier nur beispielhaft erwähnt. Eine ständige Evaluation der Schulungsveranstaltungen wird dringend empfohlen. Die Identifikation von Multiplikatoren und deren gesonderte Schulung sorgt für arbeitsplatznahe Ansprechpartner, an die man sich gerade am Anfang der Nutzung vertrauensvoll wenden kann, ohne gleich sein Problem hausintern kommunizieren zu müssen.
- Aktive Einforderung von Ideen und Anregungen zur Weiterentwicklung
Mit steigendem Nutzungsgrad und steigender Akzeptanz wird es erfahrungsgemäß vermehrt Wünsche und Anregungen zur weiteren Entwicklung der Lösungsumgebung geben. Es tauchen sicherlich auch kritische Stimmen auf, die auf Fehlfunktionen und inhaltliche Defizite hinweisen. Es gilt, all diesen Stimmen Raum zu geben und wertzuschätzen. Gerade diese Impulse sollten Prioritäten zur weiteren Entwicklung des E-Akte-Einsatzes bilden. Die Berücksichtigung des Feedbacks sorgt für eine weitere Steigerung der Akzeptanz und führt im besten Fall letztendlich zur Lösung, an der alle einen Anteil hatten und sich individuell mit identifizieren können.
Bei Umsetzung dieser beschriebenen Vorgehensweise sollte der erfolgreichen Einführung einer E-Akte aus Nutzersicht nichts mehr im Wege stehen. Es existieren natürlich weitere Anforderungen für einen erfolgreichen Betrieb wie die z. B. Verfügbarkeit, die hier jetzt nicht weiter betrachtet werden.
Elektronische Akte als ein modernes Werkzeug
Digitalisierung und elektronisches Verwaltungshandeln fallen nicht vom Himmel. Es bedarf moderner Werkzeuge, mit denen Verwaltungsabläufe zu optimierten, digitalen Geschäftsprozessen gewandelt werden. Die E-Akte ist nur ein Werkzeug, aber ein sehr Wesentliches für die revisionssichere, transparente und zeitgemäße Verwaltungsarbeit. Dieses Werkzeug muss wie ein gutes Küchenmesser von geübter Hand geführt und immer wieder regelmäßig geschärft, d.h. im übertragenen Sinne optimiert werden. Erst so entsteht die existentiell erforderliche Basis für digitales Verwaltungshandeln, die akzeptiert und zielführend genutzt wird. Und dann gewinnt sogar die E-Akte die Herzen der Menschen. Oder sie wird wenigstens geduldet und hat somit ihre Daseinsberechtigung.
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Anm. d. R: Mitte März wird Ralf Meyer bei der Fachkonferenz „eAkte-Praxistage 2018“ zum Thema „Muss ich das jetzt auch noch machen? Praxisbericht aus einer erfolgreichen Einführung der eAkte“ referieren. Mehr Informationen zum Seminarprogramm und zur Anmeldung finden Sie auf der Website der Europäischen Akademie für Steuern, Wirtschaft & Recht.

Ralf Meyer ist als Referent E-Government und Projektleiter E-Akte bei der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin tätig.
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