Die E-Akte vor Gericht: Beweiswert gescannter Dokumente

Beweiswert gescannter Dokumente

Neben der herkömmlichen Aktenführung in Papier kann die Behörde ihre Akten aber auch elektronisch führen. Einer besonderen Ermächtigung hierfür bedarf es nicht. Hierzu werden selbst erstellte oder elektronisch eingesandte Dokumente (rechtssicher) abgelegt. Eingehende Papierdokumente werden eingescannt. Der Scanvorgang ist bei (noch) vorherrschender Papierkorrespondenz allerdings ein organisatorisches Nadelöhr und hat auch im Hinblick auf den Beweiswert des Scanergebnisses technisch-organisatorisch hohen Anforderungen zu genügen. Der folgende Beitrag gibt einen kurzen Überblick über die Anforderung – aus Sicht eines Gerichts.

I. Rechtliche Grundlagen

Gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 EGovG ist bei der Übertragung in elektronische Dokumente (Scanvorgang) nach dem Stand der Technik sicherzustellen, dass die elektronischen Dokumente mit den Papierdokumenten bildlich und inhaltlich übereinstimmen, wenn sie lesbar gemacht werden. Den Stand der Technik gibt nach allgemeiner Auffassung insbesondere die Technische Richtline „Ersetzendes Scannen“ (TR RESISCAN) des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) wieder. Gesetzeskraft kommt dieser Richtlinie andererseits nicht zu, obschon sie nicht selten mantraartig zitiert wird; durchaus denkbar ist auch die Orientierung an anderen – allerdings vergleichbaren – Scanverfahren.

1. Bildliche und inhaltliche Übereinstimmung

Problematisch ist insoweit bereits der (unbestimmte Rechts-) Begriff der „bildlichen und inhaltlichen Übereinstimmung“. Hierbei kommt es nach dem Willen des Gesetzesgebers ebenso wie nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift, vor allem aber im Hinblick auf die Bedürfnisse der behördlichen und forensischen Praxis ausschließlich auf die inhaltserhaltende Qualität des Scanguts an, nicht auf die technische Perfektion der Digitalisierung. Entscheidend ist mithin, dass durch das Einscannen keine Informationen verloren gehen oder verändert werden, die einen inhaltlichen Informationsgehalt haben. Dies klingt einfach, ist aber im Detail eine Herausforderung bei der Formulierung von Arbeitsanweisungen für Scanstellen oder bei der Wahl von Voreinstellungen beim Scanner. Als Beispiel sei genannt, dass die Erkennung – und automatische Aussortierung – von Leerseiten durch Definition eines Schwellwertes in Kilobyte kaum möglich ist, wenn Scangut gemischt aus reinweißem Papier und „Umweltpapier“ besteht und wenn Papier teilweise gelocht und teilweise ungelocht ist. Aus praktischen Erfordernissen heraus muss klar sein, dass kein Farbscan erforderlich ist, nur weil das Behördenlogo einen Farbanteil hat. Unnötige Farbscans sind unbedingt zu vermeiden; Farbscans haben nämlich eine erheblich größere Dateigröße und kosten daher Rechenleistung und damit Ergonomie beim Aktenhandling. Ebenso klar muss aber sein, dass ein Farbscan erforderlich ist, um rechtserhebliche Farbinformationen zu erhalten oder solche, die einen tatsächlichen Beweiswert haben könnten (bspw. die unterschiedlichen Farben eines Kugelschreibers auf einem handschriftlich ausgefüllten Formular, weil diese ein Indiz dafür sein könnten, dass verschiedene Personen die Eintragungen vorgenommen haben). Trivial ist die Erstellung einer Organisationsanweisung daher nicht.

2. Beweisführung mit gescannten Dokumenten nach den Regelungen der ZPO

Der Urkundsbeweis gem. § 415 ff. ZPO bindet die Gerichte in ihrer freien Beweiswürdigung gem. § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO und stärkt damit die Beweissicherheit, letztlich also die Vorhersehbarkeit des Ausgangs des Gerichtsverfahrens. In der „Papierwelt“ wird der Urkundsbeweis durch Vorlage des Originals der privaten oder öffentlichen Urkunde angetreten und erbringt für private Urkunden den Vollbeweis für die in der Urkunde enthaltenen Erklärung, für die öffentliche Urkunde den Vollbeweis für den beurkundeten Vorgang, die Anordnung, Verfügung oder Entscheidung.

Gem. § 371a Abs. 1 Satz 1 ZPO können private elektronische Dokumente den Beweiswert privater Urkunden erreichen. Hierzu müssen sie vom Aussteller des Dokuments mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden. Dies ist beim Scan eines eingehenden Papier-Schriftstücks (bspw. eines Bürgers) in der Behörde nicht der Fall, denn dort könnte ja maximal eine qualifizierte elektronische Signatur der Behörde aufgebracht werden. Die Signatur wäre daher ungeeignet den Beweiswert des § 371a Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erbringen, sie könnte lediglich den Nachweis bieten, dass das Dokument nach dem Scanvorgang nicht mehr verändert wurde – sie ist also nur ein Sicherungsmittel. Es bleibt dabei, dass das gescannte Dokument nur als Augenscheinsobjekt im Rahmen der freien Beweiswürdigung in Betracht kommt.

Abhilfe von diesem Dilemma schafft erst § 371b ZPO. Danach können Papierdokumente, die  eingescannt wurden, die Beweiskraft des Originals erlangen. Voraussetzung hierfür ist, dass das Dokument von einer öffentlichen Behörde oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person unter Beachtung des Stands der Technik in ein elektronisches Dokument übertragen wurde und eine Bestätigung vorliegt, dass das elektronische Dokument mit der Urschrift bildlich und inhaltlich übereinstimmt. Es finden dann die Vorschriften über die Beweiskraft öffentlicher Urkunden entsprechende Anwendung. Sind das Dokument und die Bestätigung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, gilt § 437 ZPO entsprechend. D.h., dass die (dann elektronische) Urkunde die Vermutung der Echtheit für sich in Anspruch nehmen kann. Das Gericht kann, wenn es die Echtheit für zweifelhaft hält, von Amts wegen die Behörde oder die Person, von der die Urkunde errichtet sein soll, zu einer Erklärung über die Echtheit veranlassen.

Rechtlichen Anforderungen Scanprozess

3. Zusammenfassung der rechtlichen Anforderungen

Rechtliche Voraussetzung des rechtssicheren Scanprozesses ist also:

  • die Anwendung des Stands der Technik (bspw. der TR RESICAN),
  • bildliche und inhaltliche Übereinstimmung von Original und Scan,
  • Bestätigung über die bildliche und inhaltliche Übereinstimmung,
  • idealerweise die qualifizierte elektronische Signatur des Scans und der Bestätigung.

II. Rechtssicheres Scannen oder hybride Aktenführung

Ebenso zulässig ist eine hybride Aktenführung, d.h. die Wahl einer Form, in der sich eine lückenlose Akte nur unter paralleler Sichtung elektronischer und papierener Dokumente ergibt. Sie sind also weder in Papier noch elektronisch vollständig, sondern nur in ihrer gemeinschaftlichen Heranziehung und Betrachtung. Wird eine hybride Akte dadurch gebildet, dass alle in Papierform eingehenden Dokumente weiter aufbewahrt werden, findet ein ersetzendes Scannen gerade nicht statt. Es ist dann nicht zwingend erforderlich rechtssicher zu scannen, denn unter Vorlage des Papieroriginals kann auch weiterhin jederzeit der volle Beweis erbracht werden.

Entsprechend müssen für den nicht-ersetzenden Scanprozess auch die Regeln für das rechtssichere Scannen nicht unbedingt eingehalten werden, dann unabhängig davon, welches Scanverfahren (TR RESICAN oder Alternativen) gewählt wird; der Zweck des „rechtssicheren Scannens“ besteht (nur) darin, den Beweiswert des digitalisierten Dokuments zu erhalten und im Idealfall dem des Papier-Originals anzugleichen, damit letzteres der Vernichtung zugeführt werden kann. In der Vernichtung des Papieroriginals wird nämlich ein erheblicher finanzieller Gewinn gesehen und zudem der einzige Weg zur Vermeidung der als ineffizient gebrandmarkten hybriden Aktenführung gesehen. Das Dogma, dass eine hybride Aktenführung nicht effizient und zudem teuer sei, gilt es allerdings stets zu hinterfragen, denn auch aufwändige Scanprozesse sind nicht ohne Investitionen und teilweise einschneidende Organisationsveränderungen zu haben. Bei der Frage nach der Einführung eines ersetzenden Scanprozesses sollte daher nicht bereits von vornherein die Möglichkeit ausgeschlossen werden, Papierdokumente evtl. gerade nicht zu vernichten: Gerade effizient kann es dort sein, wo kaum noch Papier eingeht.

III. Fazit und Ausblick

Werden die Verwaltungsakten elektronisch oder hybrid geführt, gilt hinsichtlich der übrigen Anforderungen grundsätzlich nichts anderes als in der „Papierwelt“. Aktenwahrheit und Aktenvollständigkeit sind unabhängig vom Medium der Aktenführung sicherzustellen. Die Begrifflichkeiten sind lediglich funktionsäquivalent in die elektronische Welt zu übertragen. Schwerpunkt ist dabei vor allem die Sicherstellung der Vollständigkeit der Akten, die sämtliche, zu einem Verwaltungsverfahren gehörende Vorgänge umfassen müssen, die Wahrung der Authentizität des Aktenmaterials, das gegen nachträgliche Verfälschungen hinreichend gesichert werden muss, und die Integrität und Stabilität der elektronischen Akte, die unter Umständen auch nach Jahren noch zu Einsichts- oder Beweiszwecken zur Verfügung stehen muss.

Ein Scanvorgang nach dem Stand der Technik hat also stets auf die Erreichung dieser Anforderungen abzuzielen. Dies ist bspw. bei Scans unter Beachtung der TR RESICAN der Fall. Deren Voraussetzungen werden im nächsten Beitrag dieser Reihe näher beleuchtet.

 

Lesen Sie in den weiteren Beiträgen der Artikelreihe E-Akte vor Gericht, wieso die elektronische Behördenakte faktisch auch eine E-Akte der Justizist ist, ob das Gericht ein Dateiformat für die elektronische Verwaltungsakte vorgeben darf und wie die E-Akte überhaupt an das Gericht übermittelt werden kann.

Anm. d. R.: Dr. Henning Müller ist Experte für eJustice und elektronischen Rechtsverkehr. Am 9. Juli 2018 wird er beim Seminar „Rechtssichere elektronische Kommunikation und elektronischer Rechtsverkehr“ zu mehreren Themen referieren. Mehr Informationen zum Seminarprogramm und zur Anmeldung finden Sie auf der Website der Europäischen Akademie für Steuern, Wirtschaft & Recht.

 

Thema E-Government: Weiterbildungsangebot

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Dr. Henning Müller ist Richter am Hessischen Landessozialgericht und leitet dort auch den Bereich Datenverarbeitung und IT-Organisation.
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