Die E-Akte vor Gericht: Elektronische Behördenakten sind (auch) faktische Justiz-E-Akten

E-Akte vor Gericht: elektronische Gerichtsakte

Die Justiz hat selbst noch kaum elektronische Gerichtsakte. Trotzdem ist die elektronische Akte am Arbeitsplatz des Richters vor allem in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten schon längst Gegenwart: Immer mehr Behörden liefern ihre elektronischen Verwaltungsvorgänge nur noch in digitaler Form an. Für die Gerichte ergeben sich dabei zahlreiche Herausforderungen: technische, rechtliche und faktische. Diese Artikelreihe wird sich in mehreren Teilen mit diesen Herausforderungen beschäftigen – und in diesem Teil zunächst den derzeitigen Sachstand beleuchten.

I. Das Warten auf die elektronischen Gerichtsakte

Sportlich, gar forsch, erfolgt die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten. Zum 1. Januar 2018 werden alle deutschen Gerichte elektronisch empfangsbereit sein, spätestens ab 1. Januar 2022 wird die Nutzung der digitalen Kommunikation für ihre professionellen „Kunden“ verpflichtet.

Anders ist die Stimmungslage im Hinblick auf die Einführung elektronischer Gerichtsakten. Erst zum 1. Januar 2026 – und damit zwar bestimmt, aber im Verhältnis zu früheren Bestrebungen wenig ehrgeizig – gibt es eine gesetzliche Verpflichtung hierzu. Pilotprojekte sind derzeit noch selten und nicht flächendeckend. Die Gründe hierfür liegen vor allem im Faktischen: Viele Justizfachverfahren sind noch nicht ausreichend für die elektronische Aktenführung geeignet, Leitungsnetze und Serverkapazitäten sind nicht ausreichend, die eingesetzte Hardware ist nicht performant genug oder jedenfalls unergonomisch und personell stehen zu wenige Ressourcen für Schulungen und Support in den Gerichtsbarkeiten bereit.

II. Elektronische Behördenakten auf der Überholspur

Gleichzeitig arbeiten zahlreiche Richter bereits heute mit elektronischen Akten. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um elektronische Gerichtsakten, aber um die elektronischen Verwaltungsvorgänge, die in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten standardmäßig beigezogen werden und deren Inhalt nicht selten sehr viel wichtiger ist, als die Schriftsätze in der eigentlichen Gerichtsakte. Bezüglich dieser beigezogenen Akten stellen sich schon heute die gleichen Fragen, die den Ehrgeiz der Justizverwaltung bei der Einführung elektronischer Gerichtsakten noch bremsen: Technisch muss der Zugriff möglich und sicher sein, rechtlich müssen die Verwaltungsakten bewertet werden und faktisch muss die Arbeit mit Ihnen in einer Weise möglich sein, die eine qualitative Tätigkeit des juristischen Bearbeiters nicht behindert.

Mittlerweile sind in der Sozialgerichtsbarkeit elektronische Verwaltungsakten keine Exoten mehr. Einige Unfall- und Krankenversicherungsträger haben bereits vor langer Zeit auf elektronische Akten umgestellt und auch die großen Bereiche SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende), SGB III (Arbeitsförderungsrecht) und das SGB VI (Rentenversicherungsrecht) digitalisieren mehr und mehr. In der hessischen Sozialgerichtsbarkeit haben schon mehrere Kammern in den Sozialgerichten keinerlei Neueingänge mit Papierverwaltungsakten mehr. Noch beeindruckender ist die jüngste Entwicklung in der Verwaltungsgerichtbarkeit, die in Asylverfahren ebenfalls ausschließlich elektronische Akten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erhält. Diese elektronische Revolution kam nicht nur unglaublich schnell, sondern mit der Macht der Masse, die eine Vielzahl von Arbeitsplätzen gleichzeitig verändert hat. Die Exekutive zeigt damit der dritten Staatsgewalt bei der Digitalisierung die lange Nase – so wie es zuvor die Justiz bei der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs getan hat – und erzeugt damit einen erheblichen Handlungs-, Innovations- und Investitionsdruck. Dies allerdings leider fast ausschließlich in den öffentlichen-rechtlichen Fachgerichten, die für die Justizministerien gerade bei E-Akten-Projekten und Investitionsvorhaben nicht selten nur wenig beachtete kleine Geschwister der gewichtigen ordentlichen Gerichtsbarkeit sind.

E-Akte vor Gericht: Justiz-E-Akten

III. Die öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten sind (eigentlich) nicht unvorbereitet

Gleichzeitig ist die IT-Ausstattung der Fachgerichtsbarkeit und die dortige Technikaufgeschlossenheit aufgrund ihrer Homogenität und der kleineren Einheiten traditionell der Technik in der ordentlichen Gerichtsbarkeit überlegen. Während die Bundesländer es gerade erst kürzlich geschafft haben, sich auf (nur) drei Justiz-E-Akten-Verbünde zu einigen, und nun – unter der Last der Kosten – hinsichtlich des zugrundeliegenden Fachverfahrens sogar eine bundesweit gemeinsame (Neu-)Entwicklung anstreben, ist die IT der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit schon lange sehr viel einheitlicher. Neben Produkten anderer kleinerer Verbünde setzen die meisten Fachgerichte der Länder das Justizfachverfahren EUREKA-Fach ein – immerhin 14 Bundesländer gehören diesem Verbund an. Diese spezialisierte Software verfügt über eine sehr flexible Beiaktenverwaltung und gleich mehrere Möglichkeiten, die eingehenden Beiakten zu sichten, zu strukturieren und mit Annotationen etc. zu bearbeiten.

Gibt es also im Hinblick auf die Flut elektronisch eingehender Verwaltungsakten gar keine Probleme in den öffentlich-rechtlichen Gerichten? Doch – und sie sind sogar sehr vielfältig!

Technisch löst eine gut geeignete Softwareausstattung zwar viele Probleme. Das Fachverfahren und eine „Viewer-Komponente“ sind aber natürlich nur eine Seite der Technik. Hinzu kommen Standard- und Infrastruktursoftwarekomponenten, von der Spracherkennung, über (aktuelle) Office-Produkte mit Signaturkomponenten, Texterkennungsprogramme bis hin zu (aktuellen) Treibern und sicheren Datensenken. Noch schwieriger ist eine zeitgemäße Hardwareausstattung, die (natürlich) nicht nur Geld kostet, das die Justizverwaltung bereit sein muss, auszugeben, sondern die sich auch in Vergabeverfahren durchsetzen muss. Sie muss ferner den Anforderungen der IT-Sicherheit genügen. Schließlich müssen Hard- und Software mit zentralen Serverstrukturen und einer Netzinfrastruktur verbunden werden – auch in denkmalgeschützten Gerichtsgebäuden und auch in ehrwürdigen Gerichtssälen, die nach ihrer Umrüstung nicht wie ein Showroom eines Technikdiscounters erscheinen sollen. Und vor allem muss IT in der Justiz als eigene Aufgabe der Gerichte erkannt werden: Personell bedarf es einer ausreichenden Ausstattung mit Kräften für Schulung und Support, damit sich die juristischen Entscheider mit der notwendigen Gelassenheit auf die Technik der E-Akte verlassen und sich so auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können. Professionelle IT-Dienstleister sind insoweit ein Anfang, wichtig ist aber auch die vor Ort vorhandene Hilfestellung auf Augenhöhe durch Multiplikatoren und unterstützenden Dienst. Hierfür ist aber auch bei vielen Führungskräften in der Justiz noch ein Umdenken notwendig: IT ist nicht lästige Technik, sondern Rückgrat der Arbeitsfähigkeit des Gerichts und damit eine Führungsaufgabe.

IV. Fazit

Die elektronische Gerichtsakte ist noch Zukunft. Elektronische Behördenakten sind aber Gegenwart und in den Gerichten längst angekommen. Da die Arbeit in der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit häufig mehr in der Behördenakte, als in der eigenen Gerichtsakte erfolgt, kann man schon jetzt nicht mehr von einer durchgehend papiergebundenen Arbeitsweise des Richters ausgehen. Die elektronische Behördenakte ist faktisch (auch) eine E-Akte der Justiz. Die mit ihr verbundenen Herausforderungen bestehen damit auch heute schon. Diesen muss sich die Justiz stellen.

In weiteren Teilen dieser Beitragsserie werden diese Herausforderungen im Einzelnen dargestellt.

Lesen Sie in weiteren Beiträgen der Artikelreihe E-Akte vor Gericht, wie die E-Akte überhaupt an das Gericht übermittelt werden kann, ob das Gericht ein Dateiformat für die elektronische Verwaltungsakte vorgeben darf und welchen Anforderungen der Scanvorgang im Hinblick auf den Beweiswert des Scanergebnisses zu genügen hat.

Anm. d. R.: Dr. Henning Müller ist Experte für eJustice und elektronischen Rechtsverkehr. Ende April wird er beim Seminar „Rechtliche und technische Herausforderungen der Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung“ referieren. Mehr Informationen zum Seminarprogramm und zur Anmeldung finden Sie auf der Website der Europäischen Akademie für Steuern, Wirtschaft & Recht.

 

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Dr. Henning Müller ist Richter am Hessischen Landessozialgericht und leitet dort auch den Bereich Datenverarbeitung und IT-Organisation.
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